Grazer Oper, Rekonstruktion des Portikus




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Einflüsse auf den Stil des Grazer Opernhauses

HR Dipl.-Ing. Dr. techn. Friedrich Bouvier, em. Landeskonservator für Steiermark

Planung
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besaß Graz zwei Theatergebäude. Das Schauspielhaus am heutigen Freiheitsplatz, das 1824 bis 1825 an der Stelle des in der Christnacht des Jahres 1823 abgebrannten ständischen Theaters errichtet worden war, und das Thalia-Theater, ein ehemaliger Zirkusbau, wo durch entsprechende Adaptierung ab 1864 ein Spielbetrieb möglich war. Beide Häuser entsprachen jedoch nicht den Anforderungen eines für damalige Verhältnisse zeitgemäßen Theaterbetriebes.

Mit der Einberufung eines Sachverständigenausschusses am 27. April 1893 reagierte der Gemeinderat auf die immer lauter werdenden Forderungen nach einem Theaterneubau. Das Ergebnis der Beratungen beschränkte sich zunächst auf einen Vorschlag bezüglich des Bauplatzes für den Neubau. Dafür wurde das Gelände zwischen dem Karl-Ludwig-Ring (heute Opernring) und dem KaiserJosef-Platz ausersehen. Außerdem befaßte man das Wiener Architekturbüro Fellner und Helmer mit der Erstellung eines Vorprojektes.

Am 10. November 1893 wurde dem Bürgermeister der erste Vorentwurf unterbreitet, dem bis 1896 weitere folgten. Interessante Aspekte zeigt der erhalten gebliebene Lageplan des am. 26. Juli 1897 vorgelegten Projektes. Hier sind bereits die wesentlichen Züge des später verwirklichten Theaterbaues erkennbar. Darüber hinaus zeigt der Plan aber auch ein mit seiner Längsachse normal zur heutigen Girardigasse stehendes Konzerthaus, das durch Manipulationsräume und einem Restaurationstrakt mit dem Bühnenhaus des Theaters verbunden werden sollte. Diese äußerst großzügige Lösung, ein städtebauliches Meisterwerk, scheiterte aber am Mangel der finanziellen Mittel.

Der eigentliche Beschluß des Gemeinderates zum Neubau des Theaters erfolgte in den Sitzungen vom 25. Februar und 26.Juli 1897. Zur dringenden Forderung der Theaterleute war für die Gemeindevertretung und die Landesregierung der Anlaß des fünfzigjährigen Regierungsjubiläums des Kaisers Franz Josef 1. getreten. Der bereits getroffenen Wahl des Bauplatzes folgte nun rasch die Entscheidung über die Art der Finanzierung und die eigentliche Vergabe des Planungsauftrages an die beiden Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer.

Wesentlich für die Verantwortlichen war die Frage nach der Wahl des Baustiles für das neue Theater. Eine Tatsache, die bezeichnend für die Zeit des Historismus war, wo man sich ungeachtet der Verwendung zeitgemäßer Baustoffe historischer Baustile bediente. Daher erscheint es nicht ungewöhnlich, daß der Gemeinderat in seiner außerordentlichen Sitzung am 15. Dezember 1897 nach langer Diskussion auf Antrag des Bürgermeisters Dr. Franz Graf beschloß, daß für den Bau ,,der Barockstil zur Zeit Fischers von Erlach zu wählen sei, das ist der einfache, reine Barockstil”. Dieser Beschlußfassung gingen in der Sitzung Erläuterungen des Bauprogrammes und ausführliche Diskussionen voraus.

Architekt Ferdinand Fellner explizierte zunächst anhand der vorliegenden Planskizzen die funktionellen und konstruktiven Probleme und ging schließlich auch ausführlich auf die Stilfrage ein: ,,Wir hatten uns seinerzeit erlaubt, den Barockstil in Vorschlag zu bringen. Über Wunsch mehrerer Herren wurde dann auch die Alternative in deutscher Renaissance mit gothischen Anklängen ins Auge gefaßt,jedoch wurde in der Enquête nach reiflicher und akademischer Behandlung des Stoffes der Ansicht Ausdruck gegeben, daß es richtig sei, daß man das Innere und Äußere des Gebäudes jedenfalls in ein und derselben Stilrichtung zur Ausführung bringe, damit das ganze wie aus einem Gusse geschaffen zur Geltung gelange. Die vollen runden Formen des Zuschauerraumes in der Entwicklung der Galerie und Logen-Brüstungen sowie die runde wellenförmige Form des Saalplafonds bringen es mit sich, daß im Saale selbst unbedingt ein Stil zu wählen sei, der sich diesen bewegten Formen anpaßt und in dieser Richtung gibt es wohl keinen Stil, der dankbarer und gefälliger ist als der Barockstil. Die Enquête und das Theaterbau-Comité sind zum Schlusse dahin gelangt, es sei der Barockstil für das Äußere und Innere beizubehalten, jedoch sei strenge von den späteren Verschnörkelungen dieses Stiles Umgang zu nehmen und sei der strengen und soliden Richtung des Barockstiles in der Zeit Fischers von Erlach Rechnung zu tragen und sind wir beauftragt, dem Bau-Comité diesbezüglich neue Skizzen vorzulegen, die das Äußere in der gewünschten Form zum Ausdrucke bringen. Wir können es auf das lebhafteste begrüßen, daß dieser Stil Fischers von Erlach gewählt wurde, nachdem dies keineswegs ein fremder Stil sondern geradezu ein Stil ist, nach welchem Osterreichs bedeutendste Bauten sowohl in der Residenzstadt wie in allen größeren Provinzstädten zur Ausführung kamen, so daß wir mit voller Beruhigung sagen können, daß wir, wenn dieser Stil zur Anwendung kommt, das ganze Theater im echt österreichischen Stile zur Ausführung bringen.”

In der anschließenden Diskussion gab es zahlreiche Wortmeldungen, die sich auf die Stilfrage bezogen. So zeigte sich Altbürgermeister Dr. Ferdinand Portugall mit den Ausführungen Fellners zwar einverstanden, und meinte, daß der ,,Barockstil viel für sich habe, zumal in der Manier des Fischer von Erlach”, doch würde der Stil der deutschen Renaissance einen besseren Eindruck erwecken, da er ,,kein so allgemeiner Theaterbaustil” sei und sich daher ,,originell ausnehmen” würde. Gemeinderat Bernuth verwies darauf, daß die ,,beste Zeit der baukünstlerischen Tätigkeit” in der Steiermark die Regierungszeit der Erzherzöge Karl und Ferdinand an der Wende zum 16. Jahrhundert gewesen sei, die ,,von deutschen und italienischen Künstlern befruchtet” wurde, nicht aber aus Wien. Ein Theaterbau im Stile des Fischer von Erlach, der vorrangig in Wien tätig war, äußerte sich Bernuth besorgt, könne eine Wiederholung des Fehlers sein, der beim Neubau des Grazer Rathauses passierte, das ebenfalls von einem Wiener Architekten entworfen wurde und ,,an dem Mangel leidet, daß es sich in die Umgebung nicht einfügt.” Beim Bau des Theaters müsse daher garantiert werden, keine ,,weichen und verschnörkelten Formen zu wählen” sondern den Baustil Fischers von Erlach möglichst zu ,,localisiren, einfach und edel zu halten und einen Ton zu treffen, der auf unsere Grazer Verhältnisse Rücksicht nimmt”.

In seinen Antworten verwies Fellner nochmals auf die im Erläuterungsbericht gegebene Begründung für die vorgesehene barocke Form des Saales mit der von der Bühne gegen die Galerie ansteigenden Decke, die vorrangig als zeitgemäße akustische Lösung angesehen werde und ,,daß der Innenraum nach der Configuration des Saales, der so geschmeidige Formen hat, auch eine geschmeidige Architektur verlangt und da man, wenn die strenge Richtung der Renaissance durchgeführt werden sollte, zu einem geradeckigen Saale kommen müßte, so hat man sich nach langer und reiflicher Uberlegung entschlossen, das Innere im Barock zu halten; dann haben die Herren Fachcollegen sehr richtig betont, daß die Außenseite nicht in einem anderen Stile gehalten werden darf als das Innere, weil bei großartigen Bauten das Ganze in einem Gusse und Charakter durchgeführt werden solle”.

Fellner erklärte sich in der Folge bereit, auch eine Fassadierung in ,,deutscher Renaissance” durchzuführen, doch würde er doch dem Abstimmungsergebnis des Sachverständigen-Ausschusses, dem hervorragende Architekten angehörten, folgen. Diese Abstimmung, der sich auch die Theater-Enquête anschloß, endete mit 15 : 3 Stimmen für die Errichtung des Baues im Stil Fischers von Erlach.

Damit hatte die Stadt Graz ihre Zustimmung zu einem Theaterentwurf erteilt, der zu den reichsten gehören sollte, die vom Atelier Fellner und Helmer entworfen und verwirklicht wurden. Die Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer waren Routiniers im Theaterbau. Zwischen 1870 und 1914 wurden in Mittel- und Osteuropa 47 Theaterneubauten nach ihren Plänen errichtet. Das Grazer Stadttheater war der 30. Theaterbau in dieser Reihenfolge. Daraus läßt sich die zu diesem Zeitpunkt bereits große Erfahrung — und damit eine eigenständige Entwicklung — der beiden Architekten auf diesem Gebiet ableiten. Fellner und Helmers Anwendung historischer Bauelemente fußte nicht auf dem unmittelbaren Studium historischer Bauten sondern orientierte sich vorwiegend an den Bauten ihrer Zeitgenossen.” Welche Stilkriterien waren es nun, die beim Bau des neuen Stadttheaters berücksichtigt wurden, und an welchen Bauwerken haben sich die Architekten bei ihrer Planung orientiert?

Baubeschreibung
Eine wesentliche Vorgabe für die äußere Gestalt des Theaters war seine städtebauliche Situierung an einem Gelenkpunkt zwischen Altstadt und Neustadt, die eine repräsentative Ausrichtung nach zwei Seiten erforderte. Während die von einem säulengetragenen Portikus bekrönte Eingangsfassade der Ringstraße zugeordnet wurde, mußte die Rückseite des Theaters im Gegensatz zu vielen anderen Theaterbauten auf eine Platzsituation, den Kaiser-Josef-Platz, Bezug nehmen. Die große Gliederung des Baukörpers entspricht den drei durch die Funktion bestimmten Bereichen: der an der Ringstraßenfassade als kräftiger Mittelrisalit vortretenden Eingangshalle, dem Auditorium und dem Bühnenhaus. Die formale Gestaltungsabsicht wurde durch strenge Bauvorschriften wesentlich beeinflußt. Der Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881 hatte eine Verschärfung feuer- und baupolizeilicher Bestimmungen zur Folge. ,,Alle früheren Prinzipien sind mit einem Schlag auf den Kopf gestellt worden,sodaß ganz neue Bedingungen für den Theaterbau aufgetreten sind”, stellte Ferdinand Fellner in diesem Zusammenhang bei der Vorstellung seines Projektes vor dem Grazer Gemeinderat am 15. Dezember 1897 fest.

So führte die Forderung nach einer feuersicheren Trennung von Zuschauerraum und Bühnenhaus zwangsläufig zu einer deutlich ablesbaren Akzentuierung dieser Bereiche. Jeder Bauteil wurde mit einem eigenen Dach bekrönt, das in seiner Form auf die Funktion des darunterliegenden Gebäudeteiles Bezug nimmt. Die oktogonale Kuppel über der Eingangshalle verweist auf den repräsentativen Charakter des Vestibüls. Das haubenförmige Dach über dem Auditorium reicht mit seinem Scheitelpunkt an die Attika des Bühnenturms, dessen hohes Mansarddach den ganzen Theaterbau überragt.
Wie wurde nun tatsächlich die Auflage, das Haus in der Formensprache des Barockbaumeisters Fischer von Erlach zu errichten, berücksichtigt?

Das äußere Erscheinungsbild des Baues ist in seiner Gesamtheit von vornehm zurückhaltendem Charakter. Eine Anlehnung an die Architektur Fischers von Erlach, wie sie im Planungsauftrag enthalten ist, läßt sich nur aus der Ausführung der Fassaden — und auch hier vorwiegend in Details — ableiten. Das beherrschende Motiv der nach dem Zweiten Weltkrieg zerstörten Hauptfassade war der auf sechs Säulen ruhende Dreiecksgiebel über dem Vorfahrtbalkon. Die Verwendung einer Portikusfront war seit Schinkels Wiederaufbau des Schauspielhauses in Berlin 1819 bis 1821 neuerlich zum Symbol für Bildung und Kultur geworden. Fellner und Helmer verwendeten dieses Motiv daher symbolhaft und stellten es vor eine eigentlich bereits fertige Fassade. Sie verwendeten den von Säulen getragenen Giebel in dieser Form erstmals beim Theater in Brünn, wo die sechs Säulen wie in Graz so angeordnet sind, daß nur drei große Interkolumnien entstehen, da die Ecksäulen gekuppelt sind. Die Säulenhalle in Graz wies aber im Gegensatz zu Brünn die gleiche Tiefe wie der Balkon auf. Die größere Tiefe des Portikus in Graz war als Kontrast zum beherrschenden Kuppeldach notwendig.

Geschickt wurde das Motiv des Portikus an der dem Kaiser-Josef-Platz zugekehrten Fassade im Mittelrisalit als Frontispiz wiederholt: die sechs Säulen —die Ecksäulen wiederum gekuppelt — stehen als Dreiviertelsäulen an der Fassade. Hier wird die Anlehnung an die Architektur Fischers von Erlach ablesbar. Als Vorbild könnte der Mittelrisalit des Wiener Palais Trautson gedient haben, das 1710 bis 1712 von Fischer von Erlach errichtet wurde. Es zeigt in der Kolossalordnung allerdings Pilaster statt Säulen, wobei die gekuppelten Pilaster das mittlere Interkolumnium säumen. Die gleiche Säulenordnung wie in Graz zeigt hingegen ein Entwurf Fischers für die Umgestaltung des Schwarzenberg‘schen Gartenpalais in Wien. Allerdings verwendete Fischer von Erlach das Motiv der Säule immer in vollplastischer Form, wenn auch knapp vor der Fassade stehend, nichtjedoch die Halb- oder Dreiviertelsäule wie sie Fellner und Helmer in Graz einsetzten.

Vergleicht man die Kolossalordnung der Grazer Bühnenfassade mit jener des 1894 bis 1895 errichteten Nationaltheaters in Agram, wo wie in Graz die Rückseite des Bühnenhauses aus städtebaulichen Gründen mit einer repräsentativen Fassade versehen wurde, so fällt die starke Ähnlichkeit auf. Interessanterweise wurde in einer zeitgenössischen Publikation schon damals das Agramer Theater als ,,Bau im Stile Fischers von Erlach” bezeichnet, obwohl dies in Agram zum Unterschied von Graz nicht gefordert war. Ohne sich mit einem bestimmten Architekten der Vergangenheit zu identifizieren, war Fellner und Helmer die barocke Formensprache geläufig. In Graz mußte man auftragsgemäß zumindest zitathaft auf die Architektur Fischers von Erlach Bezug nehmen. Während man sich in der globalen Gliederung eher großzügig an Fischers Proportionen orientierte, wurden manche Detailformen direkt übernommen.

Die nach den Seiten gerichteten Eckrisalite der Hauptfassade sind gegen die Ringstraße als Pavillons mit Mansarddach ausgebildet, wobei für Fassadengliederung und Dachform der Mittelrisalit der Österreichischen Nationalbibliothek als Vorbild naheliegend erscheint. Gegen die Seitenfassaden treten diese Eckrisalite als dreiachsige Risalite mit Segmentgiebeln in Erscheinung, ein Motiv, das sich an den Seitenfassaden im Bereich des Überganges von Saalbau zum Bühnenturm wiederholt. Dieses an den Seitenfassaden paarweise auftretende Segmentgiebelmotiv geht wohl mit Sicherheit auf das Vorbild des wichtigsten europäischen Opernhauses des 19.Jahrhunderts zurück — auf das 1862 bis 1875 von Charles Garnier errichtete Opernhaus von Paris. Die Tatsache, daß Fischer von Erlach die Großform des Segmentgiebels an den Glockentürmen und an der Chorfassade der Karlskirche anwendete, dürfte in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung sein.

Die Vorliebe Fischers für feine Abstufungen der Grenzflächen und die punktuelle Betonung ausgewählter Stellen findet sich an den Fassaden des Grazer Theaters wieder. So etwa in den figuralen Fensterbekrönungen an den Risaliten der Seitenfassaden, die vom Wiener Bildhauer Ernst Hegenbarth in Zinkguß ausgeführt wurden.

Fischer von Erlach verwendete häufig ähnliche figurale Gruppen in Verbindung mit Fensterverdachungen, beispielsweise am Mittelrisalit der Hauptfassade des Palais Trautson, am Palais des Grafen Dietrichstein (später Palais des Fürsten Lobkowitz) oder am Palast der böhmischen Hofkanzlei in Wien. Bei Fellner und Helmer kam dieses Motiv schon 1882 an der Hauptfassade des Theaters in Brünn zur Anwendung.

Die ornamentalen Füllungen der Brüstungen am Hauptbalkon und am Mittelrisalit der Bühnenhausfassade scheinen in gleicher Form auf der Entwurfszeichnung Fischers für den Palast der böhmischen Hofkanzlei in Wien auf. Die Lukarne am Mansarddach des Bühnenturmes mit hochovalem Fenster und seitlichen Voluten ist ebenfalls ein von Fischer häufig angewandtes Element und befindet sich in gleicher Form am Hauptdach der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.

Die Architekten Fellner und Helmer folgten, was das äußere Erscheinungsbild des Theaters betrifft, immerhin zitathaft der Auflage im Stile Fischers von Erlach zu bauen. Diese im Auftrag enthaltene Forderung entsprach eigentlich im wesentlichen dem formalen Vokabular der beiden Architekten, denen man an den meisten ihrer Theaterbauten zumindest ähnliche Motive wie sie der Barockbaumeister Fischer von Erlach verwendete, nachweisen kann. Es ist nicht auszuschließen, daß die Architekten im Zuge ihrer Vorentwürfe für das Grazer Theater selbst die Idee initierten, in der Geburtsstadt Fischers von Erlach dessen Stil in historistischer Manier zu berücksichtigen.

Die spezifische Funktion der inneren Anlage eines Theaterbaues führte in diesem Bereich primär zu einer Orientierung an bedeutenden zeitgenössischen Theaterbauten und zu einer Weiterentwicklung aus eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet. Die Berücksichtigung stiltypischer Elemente im Sinne Fischers von Erlach war daher im Inneren zweitrangig.

Das Kernstück in der inneren Organisation ist die Treppenhalle mit der zentralen Haupttreppe und den zwei ihr zugeordneten Seitentreppen. Fellner und Helmer orientierten sich hier sehr deutlich an der Stiegenanlage des Pariser Opernhauses, wo Charles Garnier einen seit der Renaissance üblichen T-förmigen Treppentypus zu einer monumentalen Prunkstiege steigerte. In der Pariser Oper sind die Nebentreppen in zwei Reihen beidseitig der Eingangshalle angeordnet, was nach dem 1882 in Kraft getretenen Theaterbestimmungen nicht mehr zugelassen war. Danach war die isolierte Führung jeder einzelnen Treppe gefordert. Interessanterweise gelang es in Graz trotzdem, die seitlichen Treppenhäuser wie in Paris zur Halle hin zu öffnen, wodurch eine großzügige Raumwirkung entstand. Die um die Haupttreppe im ersten Obergeschoß umlaufenden Wandelgänge lassen die zentrale Haupttreppe nicht mehr als Symbol öffentlicher Repräsentation erscheinen sondern als Ausdruck bürgerlicher Geltung.

Dieser Ausdruck setzt sich auch im Zuschauerraum fort, wo die Logenränge an die Seitenwände treten und die Mitte von durchlaufenden Balkonen bestimmt ist. Selbst die im Raumprogramm geforderten Ehrenlogen für die Landesregierung und für die Vertreter der Stadt wurden im Bereich des vorderen Proszeniums angeordnet. Es gelang den Architekten den Typus des italienischen Logentheaters mit der Form des französischen Rangtheaters zu einer Synthese zu verbinden. Im Gegensatz zur strengen Gliederung des Baukörpers und der Fassaden wird der Zuschauerraum von ondulierenden Formen in der Art des Rokoko bestimmt. Dies trifft sowohl auf die Form des Saales zu als auch auf seine Ausstattung mit Gemälden und reichen, zum Teil vergoldeten Stuckdekorationen.

Als das Haus am 16. September 1899 mit Friedrich Schillers Schauspiel ,,Wilhelm Tell” nach einer Gesamtbauzeit von nur 17 Monaten eröffnet wurde, hatte eine neue Ära in der traditionellen Grazer Theatergeschichte begonnen.

Jede der seither durchgeführten Restaurierungen brachte leider Verluste in der Qualität des äußeren Erscheinungsbildes mit sich. So wurden schon anläßlich einer Restaurierung vor dem Zweiten Weltkrieg die großen Figurengruppen die den Mittelrisalit der Hauptfassaden akzentuierten, abgenommen.

Gleichzeitig entfernte man auch die beiden Plastiken, die die Freitreppe des Haupteinganges flankierten. Hinweise über den Verbleib der entfernten Skulpturen konnten nicht in Erfahrung gebracht werden. Der Tendenz zur Vereinfachung fielen auch die zahlreichen Steinvasen zum Opfer, die an wesentlichen Punkten den oberen Abschluß der Fassaden bildeten.

Bombenschaden
Am 1. November 1944 traf eine Fliegerbombe die Hauptfassade und zerstörte glücklicherweise nur die linke obere Ecke des Mittelrisalites. Der Portikus war nahezu unbeschädigt geblieben. Die totale Zerstörung des Portikus blieb der unmittelbaren Nachkriegszeit vorbehalten. Der radikalen Renovierung 1945 bis 1948 fiel die gesamte Säulenhalle mit dem qualitätvollen Giebelrelief zum Opfer. Ob das Relief bei der Abtragung zerstört wurde oder einen unbekannten Besitzer fand ist ebenfalls nicht bekannt. Die abgetragenen Steinsäulen wurden einem Grazer Steinmetzbetrieb zur Verarbeitung übergeben.

Im Zuge der rigorosen Vereinfachung der Eingangsfassade wurden auch die völlig intakten figuralen Fensterbekrönungen an den seitlichen Rücklagen entfernt, die jenen an den Risaliten der Seitenfassaden entsprochen hatten. Beeinträchtigend für die Qualität des Baukörpers wirkte sich auch die Vereinfachung in der Dach- und Kuppelzone aus. Die das Dach gliedernden Gaupen an den Rücklagen der Hauptfassade wurden entfernt, die neobarocken Dachluken an der Kuppel stark reduziert.

Die auf die Höhe des Giebeldreiecks abgestimmte Attika des Mittelrisalites erscheint nach Abtragung der Säulenhalle unlogisch und disproportioniert. In Erkenntnis dieser Situation wurde der Versuch unternommen durch figurale Reliefplastiken eine Verbesserung herbeizuführen. Die Skulpturen sind noch deutlich vom Stil einer zu diesem Zeitpunkt bereits zu Ende gegangenen Phase gekennzeichnet.

Wiederherstellung
Zahlreiche nationale und internationale Beispiele der letzten Jahre zeigen, dass die Rekonstruktion und Teilrekonstruktion von städtebaulich identitätsstiftenden Bauwerken gerechtfertigt ist. Der Bogen reicht von der Frauenkirche in Dresden und der Kapellbrücke Luzern über das Teatro La Venice in Venedig, die Brücke in Mostar bis zur Wiener Hofburg (nach dem Hofburgbrand) und den Rosenhügel im Grazer Schloss Eggenberg.

Die besondere Stellung der Architektur der Grazer Oper und ihrer städtebaulichen Situation rechtfertigen die geplante Wiederherstellung der Säulenvorhalle (Portikus) – ein Anliegen das von vielen Grazerinnen und Grazern immer wieder zum Ausdruck gebracht wird.


Anmerkungen:
1 Der verschollene Entwurf soll der Hofoper in Wien ähnlich gewesen sein
2 50 Jahre Grazer Opernhaus, Festschrift (Graz 1949)
3 Amtsblatt der landesfürstlichen Hauptstadt Graz, 2. Jg., 1. Oktober 1897 - 30. September 1898, Nr. 9 (Graz) S. 244
4 Ebenda, S. 241
5 Ebenda, S. 242
6 Ebenda, S. 243
7 Ebenda, S. 242
8 Ebenda, S. 243
9 Hans Christoph Hoffmann, Die Theaterbauten von Fellner und Helmer (München 1966), S. 9
10 Ebenda, S. 135
11 Ebenda, S. 34
12 Verordnung vom 1. Juli 1882, deren Wirksamkeit sich auf die ganze Monarchie erstreckte.
13 Amtsblatt Graz, a.a.O., S. 238
14 Hoffmann, Die Theaterbauten von Fellner und Helmer, a.a.O., S. 36
15 Ebenda, S. 39
16 Ebenda, S. 34
17 Giebelfeld und Akroterie von Hanns Brandstetter
18 Hans Sedlmayr, Johann Bernhard Fischer von Erlach (Wien 1956), S. 72
19 Hoffmann, Die Theaterbauten vpm Fellner und Helmer, a.a.O., S. 33, Anm. 14
20 Sedlmayr, Fischer von Erlach, a.a.O., S. 72
21 Ludwig Muhry, Das neue Stadt-Theater, in: Gedenkschrift zur Eröffnung des Stadttheaters in Graz, hrsg. von J. A. Kienreich (graz 1899), S. 12
22 Sedlmayr, Fischer von Erlach, a.a.O., Abb. 135
23 Eduard Andorfer, Die Baugeschichte, in: 50 Jahre Grazer Opernhaus, Festschrift (Graz 1949), S. 24
24 ”Ruhmverkündende Muse” und “Bachantengruppe” von Ernst Hegenbarth.
25 ”Der Schmerz” und “Die Heiterkeit” von Ernst Hegenbarth
26 Fischer von Erlach schenkte den Ziervasen in seiner Architektur besondere Beachtung (siehe auch: Sedlmayr, Fischer von Erlach, a.a.O., S. 79).
27 Giebelplastik von Ernst Hegenbarth.
28 Figurale Fassadenplastik von Walter Ritter.



Neueste Erkenntnisse zur figuralen Bauplastik

Es war einmal ...
... die figurale Bauplastik der repräsentativen Hauptfassade
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Fast vergessen: Der Bildhauer Ernst Hegenbarth (1867-1944)
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Vorträge zum Projekt
Vereinsmitteilung 2/2009: Grazer Oper - Initiative zur Wiederherstellung der Fassade
Vereinsmitteilung 5/2010: S. 7-11.


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Über den Sonmmer 2008 wurde die Säulenvorhalle des Grazer Opernhauses durch eine Kulisse im Maßstab 1:1 überzeugend sichtbar gemacht. Diese für den Verein Denkmal-Steiermark kostenlose Leistung wurde dankenswerterweise von folgenden Firmen übernommen (mehr Info)


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